ÜBER ANERKENNUNG
Hallo Hirn! Schön, dass du her gefunden hast.
Wirmüssenreden ist ein Gesprächsformat, bei dem du versuchen kannst unsere Welt, dein Gegenüber und dich selbst ein klitzekleines bisschen besser zu verstehen.
Dafür überspringen wir den Smalltalk und begeben uns an einen Ort, den wir allzu gerne meiden: Unsere Gefühlswelt.
Alles, was in unserer Gesellschaft oder in unserem Alltag passiert, ist von Emotionen und Gefühlen beeinflusst. Unsere Emotionen tiefergehend zu beleuchten, hilft uns dabei, die Welt im grossen, wie im kleinen besser zu verstehen.
ANLEITUNG
Schnapp dir deine besten Freund*innen, ein Date oder deine Grossmutter. Wir empfehlen für das Gespräch eine maximale Gruppengrösse von 4 Menschen, so geht niemand verloren. Natürlich funktioniert das ganze auch alleine.
Sucht euch ein ruhiges Plätzchen, macht euch eine Tasse Tee und freut euch auf einen gesprächigen Abend.
Bevor ihr ins Gespräch eintaucht, legen wir euch ans Herz gemeinsam den Verhaltenskodex durchzulesen. Gemeinsame Regeln helfen, einen Raum zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen.
Dann könnt ihr ins Gespräch einsteigen. Startet mit den Einstiegsfragen und lasst euch dann mithilfe von Inputs und Denkanstössen durch den Abend leiten. Ihr seid ganz frei in der Gestaltung eures Gesprächs. Ihr könnt stundenlang über die eine gleiche Frage diskutieren, Fragen überspringen oder euch von unten nach oben bewegen. Ob ihr die Inputs hören/lesen möchtet oder nicht ist ganz euch und eurer Stimmung überlassen. Vergesst nicht ab und zu eine Pause einzulegen, damit sich eure schönen Köpfe erholen können.
VERHALTENSKODEX
Wenn wir offen und ehrlich über Gefühle, Erfahrungen und Meinungen sprechen, kann das ungewohnt und unangenehm sein. Es ist immer wieder ein Lernen unserer eigenen Grenzen: Wie viel möchte ich teilen? Wie viel möchte ich wissen? Zusätzlich sind diese Grenzen Tagesformabhängig und so noch schwieriger zu greifen. Gemeinsam können wir versuchen einen Raum gestalten, der es allen Menschen einfach macht ihre Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren und die des Gegenübers zu respektieren.
Lest euch gemeinsam in der Gruppe die 10 Regeln durch und ergänzt sie bei Bedarf noch mit euren eigenen.
Am besten jemand liest die Regeln laut der ganzen Gruppe vor.
- Wir hören einander aufmerksam zu, unterbrechen nicht und vermeiden es, unsere Stimme zu erheben. Wenn das trotzdem Mal passiert ist das ok. Wir können uns entschuldigen und uns in Nachsicht üben.
- Wir respektieren unsere eigenen Grenzen und die der anderen. Wir drängen niemanden dazu, persönliche Dinge zu teilen, auch nicht uns selber. Du darfst jedes Mal aufs neue entscheiden, ob du eine Frage beantworten möchtest oder nicht. Sag einfach „Ich möchte darüber nicht sprechen», wenn du nicht möchtest. Wir akzeptieren diese Entscheidung.
- Wir üben unser positives Menschenbild und gehen mit der Annahme in dieses Gespräch, dass unser Gegenüber nur gutes will.
- Wir sind uns bewusst, dass unsere Worte und Handlungen unbeabsichtigte Auswirkungen auf die anderen Menschen haben können. Deren Gefühle sind berechtigt, unabhängig von unseren Absichten. Wir stellen Gefühl nicht infrage.
- Wir dürfen jederzeit das Gespräch verlassen, ohne Bescheid zu geben. Ein falscher Vorwand um den Tisch zu verlassen ist ok.
- Wenn wir über Themen und Erfahrungen sprechen, die für uns schwierig waren, dann kann es gut sein, dass es für unser Gegenüber auch schwierig sein könnte diese anzuhören. Wir geben deshalb Bescheid: „Ich erzähle jetzt etwas, das unangenehm für mich ist/war. Es geht um das Thema XY. Ist es ok, wenn ich darüber spreche?“. Wir geben einander Zeit, um zu überlegen, ob wir diese Geschichte hören/ erzählen wollen.
- Wir respektieren die Identitäten aller Anwesenden, dazu gehört die gewünschte Verwendung von Pronomen. Wenn wir etwas nicht verstehen, fragen wir höflich nach.
- Wir dulden keine Diskriminierung (Ungleichbehandlung aufgrund von Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe). Wir schützen uns gegenseitig und greifen ein, wenn wir diskriminierendes Verhalten beobachten. Du kannst sagen „Hey, diese Aussage verletzt mich.“ oder „Hey, diese Aussage finde ich nicht so cool. Wie meinst du das?“.
- Wir achten darauf, wie stark wir uns beteiligen und geben allen die Möglichkeit zu sprechen. Hilfreich kann es dafür sein, wenn eine*r nach dem*der anderen der Reihe nach die Frage beantwortet. Erst, wenn alle die Frage beantwortet haben, kann in einem offenen Austausch aufeinander reagiert werden.
Sag einfach „Ich setze aus“, wenn du an der Reihe bist, und du die Frage (noch) nicht beantworten möchtest. - Wenn es hitzig wird, gibt es immer die Möglichkeit ein Gefühls-Checkin zu machen. Jeder von euch kann diesen initiieren und in die Runde fragen: „Wie fühlt ihr euch gerade?“. Oder ihr könnt zusammen eine Notfallübung machen (siehe unten).
Wie geht es dir heute wirklich?
Wie leicht fällt es dir über Gefühle zu sprechen?
Was bringst du in deinem Rucksack mit, was Einfluss auf das heutige Gespräch haben könnte?
Gibt es Themen, über die du ungern sprechen möchtest, auf die wir Rücksicht nehmen sollten? Oder Themen, die bei dir etwas auslösen könnten, die wir im Idealfall mit einer Inhaltswarnung ankündigen sollten bevor wir darüber sprechen?
Wie fühlt sich für dich Anerkennung an? Was bedeutet es für dich anerkannt zu werden?
In welchen Bereichen deines Lebens brauchst du mehr Anerkennung – in welchen weniger?
Wie gehst du damit um, wenn Menschen dich oder deine Leistung nicht anerkennen?
Wenn dich ab morgen niemand mehr bewerten würde: Womit würdest du sofort aufhören? Was würdest du weiterhin tun?
Input: Warum auch Lob schadet
(Ausschnitt aus dem Interview mit US-Erziehungswissenschaftler Alfie Kohn)
Blick: Dass Sie gegen das Bestrafen sind, ist naheliegend. Dass Sie auch das Belohnen inklusive des Lobens nicht gut finden, weniger. Was ist so schlimm daran?
Alfie Kohn: Wenn wir ein Kind belohnen, indem wir es loben, geben wir ihm das Signal: Wenn du das gut machst, erhältst du dieses. «Dieses» kann ein Stück Schokolade sein, ein Sternchen-Sticker, eine gute Schulnote oder einfach nur ein «gut gemacht». All das sind extrinsische – sprich äusserliche – Motivatoren, die die intrinsische Motivation, die von innen kommt, abschwächen.
Blick: Wie lassen wir ein Kind wissen, dass es beim Teilen etwas Gutes tut, ohne es zu loben?
Alfie Kohn: Wenn ein Kind zum Beispiel sein Dessert mit einem anderen Kind teilt, können wir es fragen: Ich weiss, dass du Kekse sehr magst. Warum hast du dich entschieden, einen deiner Kollegin zu geben? Es wird vielleicht über sein Bedürfnis nachdenken, anderen eine Freude zu machen.
Wie und wofür wurdest du als Kind gelobt?
Wurdest du auch für Dinge gelobt, die nichts mit deiner Leistung zu tun hatten?
Hattest du schonmal das Gefühl, abhängig von Lob zu sein?
Welche anderen Formen der Anerkennung gibt es neben Lob?
Welchen Umgang mit Lob hättest du dir als Kind gewünscht?
NOTFALL-ÜBUNG
Zählt 60 Sekunden lang nacheinander so schnell wie möglich Gegenstände im Raum inkl. ihrer Farben auf. Diese Übung bindet eure komplett Aufmerksamkeit und durch das Sehen und Benennen von Dingen in eurem Umfeld, kommt eurer Geist auf schnellstem Wege zurück ins «Hier und Jetzt». Los geht’s!
Welche Menschen in unserer Gesellschaft erhalten besonders viel Anerkennung und welche weniger? Wieso ist das so?
Welche Berufe / Tätigkeiten / Persönlichkeitseigenschaften hätten deiner Meinung nach mehr Anerkennung verdient?
Wie sehr hängt unser Druck zu leisten mit dem Streben nach Anerkennung zusammen? Warum leistest du?
Backt euch einen Anerkennungs-Menschen: Welche Eigenschaften muss ein Mensch in unserer Gesellschaft haben um am meisten Anerkennung zu bekommen?
Wie wird in deinem Berufsumfeld gelobt?
Was wäre, wenn dich plötzlich niemand mehr für deine Arbeit loben würde?
Lobst du dich manchmal selbst?
Wie fühlt es sich an, wenn du hörst, dass Wertschätzung von deinem*deiner Chef*in auch ein reiner Wirtschaftsfaktor sein kann?
Wann hast du im Leben alles erreicht?
NOTFALL-ÜBUNG
Wenn die Emotionen mal am überkochen sind und ihr merkt, dass ihre euch gerne gemeinsam beruhigen möchtet, ist folgende Übung der schnellste Weg:
Atmet 10 Mal gemeinsam ein uns aus. Los gehts!
Jetzt mal ganz ehrlich: Wie sehr achtest du auf Likes auf Social Media?
Nach welchen Kriterien verteilst du Likes? Was möchtest du damit kommunizieren?
Hast du schonmal schlechte Erfahrungen gemacht mit negativem Feedback auf deine Inhalte auf Social Media?
Wie sehr können Likes deinen Selbstwert beeinflussen?
Wie sehr geht es dir in einer Diskussion darum recht zu haben?
Wie zeigst du deinem Gegenüber, dass du seine*ihre Meinung anerkennst?
Mit welchem Ziel gehen Teilnehmer*innen in eine «Debattenshow» (z.B. die Arena)? Mit welchem Ziel sollten sie da hingehen? Wie ist es mit dem*der Moderator*in?
Was ist das Ziel einer solchen Sendung?
Wie einfach fällt es dir in einer Diskussion Unwissen zuzugeben? Oder zu sagen „Ich weiss es nicht?“
Wie erkennst du, ob es dir gerade um die Sache oder um dein Ego geht? Wie schwer fällt es dir zweiteres zuzugeben?
Input: Stroke Ökonomie
Das Konzept der Stroke Ökonomie wurde vom Psychotherapeut Claude Michel Steiner entwickelt. Das Konzept basiert auf der Theorie, dass wir Menschen unter einem Mangel an Anerkennung (sog. positive Strokes) leiden. Wer als Kind wenig Anerkennung bekommt, neigt auch im Erwachsenenalter dazu weniger Anerkennung zu geben und anzunehmen, obwohl es doch ein unbegrenztes Gut ist.
Daraus leitet Steiner 5 Regeln ab, denen wir unbewusst folgen:
- Gib keine Anerkennung, auch wenn du gerne möchtest.
- Bitte nicht um Anerkennung, auch wenn du sie brauchst.
- Nimm keine Anerkennung an, auch wenn du gerne möchtest.
- Lehne keine Anerkennung ab, wenn du sie nicht möchtest.
- Gib dir selbst keine Anerkennung.
Und weitere 5 Regeln um die Stroke Ökonomie zu überwinden:
- Du darfst Anerkennung geben, wenn du gerne möchtest.
- Du darfst um Anerkennung bitten, wenn du sie brauchst.
- Du darfst Anerkennung annehmen, wenn du sie haben willst.
- Du darfst Anerkennung ablehnen, wenn du sie nicht haben willst.
- Du darfst dich selbst anerkennen.Quelle: Claude Steiner: Emotionale Kompetenz. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1999, ISBN 3-423-36157-3.