Der Zweifel mit dieser Reise einen Fehler zu machen

Wenn wir grosse Veränderungen wagen, kann es passieren, dass sich auf der Schwelle des Übergangs von Alt zu Neu Ängste, Sorgen und Unsicherheiten intensivieren. Du machst Schritte in etwas Unbekanntes, von dem du nicht weisst, wie genau es aussehen wird. Du warst noch nie so lange von zu Hause weg, du hast noch nie so lange nicht gearbeitet und du hast noch nie so viel Geld ausgegeben, ohne gleichzeitig Geld zu verdienen. Es ergibt sehr viel Sinn, dass dein System mit Blick auf dieses unbekannte Wagnis in Unsicherheit gerät.

Und gleichzeitig darfst du dir vor Augen halten, dass dieser Zweifel oftmals gar nicht gegen dieses Vorhaben spricht, sondern vielmehr aufzeigt, wie bedeutsam es ist. Wenn dein Nervensystem auf diese Weise reagiert, dann wird vor allem deutlich, dass es wirklich lebensverändernde Schritte sind, die du wagst. Es zeigt, dass du unglaublich mutig bist und dass da eine Sehnsucht in dir wohnt, die sich wünscht, dass etwas anders werden soll. Und dieses «anders» wird von unserem Nervensystem häufig erstmal als gefährlich eingestuft, auch wenn unterm Strich ein besseres und passenderes Leben auf dich wartet.

 

(Und am wichtigsten: Es ist nie zu spät, um abzubrechen. Wer A sagt, muss nicht B sagen. Du darfst dich irren, du darfst jederzeit zurückkehren und darfst etwas komplett anderes tun, wenn diese Art zu Reisen nicht das richtige für dich ist.)

Die diffuse Ängstlichkeit an neuen Orten, ohne konkreten Grund

Es ergibt ganz viel Sinn, dass beim Reisen Gefühle von Angst und Unsicherheit auftauchen könnten, auch dann, wenn du dich eigentlich auf das Abenteuer freust. Dein Nervensystem reagiert auf das neue Umfeld, die neuen Informationen und Eindrücke. Es reagiert mit Unsicherheit, um dich zu schützen und mögliche Gefahren zu vermeiden. Unsicherheit ist kein angenehmes Gefühl und es ergibt Sinn, dass du es so schnell wie möglich loswerden möchtest.

Gleichzeitig darfst dir vor Augen halten, dass die Angst auch neben dir Platz nehmen könnte. Angst muss nicht immer bedeuten, dass wir etwas nicht tun sollten. Manchmal bedeutet Angst auch, dass wir Dinge wagen, die über unseren bisherigen Erfahrungshorizont hinausgehen und dass wir unser Wohlergehen uns dabei wichtig ist. Das ist eigentlich schön, fühlt sich aber nicht immer danach an. Unsicherheit ist keine Schwäche, Unsicherheit ist manchmal auch ein Zeichen von Lebendigkeit. Du darfst darauf vertrauen, dass dein Körper und Geist sich an die neuen Situationen gewöhnen können, wenn du sanft und verständnisvoll dir selbst gegenüber bist.

Die Angst falsche Entscheidungen zu treffen und von den Möglichkeiten überwältigt zu sein

Es ergibt ganz viel Sinn, dass die unzähligen Möglichkeiten der Orte, der Aktivitäten und der Reisegespänlis beim Entscheidenmüssen Unsicherheit oder gar Überwältigung hervorrufen können. Auch die Angst, die falsche Entscheidung zu treffen, etwas zu verpassen oder irgendwo zu landen, wo es dir nicht gefällt, kann unangenehme Emotionen auslösen und ist völlig normal. Du darfst dir Zeit für deine Entscheidungen lassen, du darfst auch kurzfristig etwas absagen, Pläne ändern oder mit dem Bewusstsein in eine Situation gehen, dass du wirklich nicht wissen kannst, ob es gut wird und ob es das richtige ist.

Denn gleichzeitig darfst du dir auch vor Augen halten, dass das Spannende am Reisen nicht nur die Orte, die Aktivitäten und die Menschen sind. Spannend ist auch die Art und Weise, wie du auf all das reagieren wirst und was du daraus über dich und die Welt lernen kannst. Insofern bietet jeder vermeintliche Fehler auch einen Erfahrungsgewinn. Wenn etwas schiefläuft, bekommst du die Chance, dich selbst auf neue Weise kennenzulernen, bessere Strategien für die Zukunft zu entwickeln und dich liebevoll zu unterstützen. Sogesehen gibt es keine Fehler, sondern nur Lernmöglichkeiten – und ja mir ist bewusst, dass dieser Satz viiiiel leichter geschrieben, als getan ist. Vielleicht kannst du dir erlauben eine Liste zu führen mit deinen Learnings, damit du mit der Zeit sehen kannst, warum sich Fehler manchmal eben doch lohnen. 

Der Druck und der Stress, der entsteht, wenn man glaubt, zu wenig Zeit zu haben

Die Welt ist gross, die Möglichkeiten noch grösser und dass Druck entstehen oder vielleicht sogar Scham aufkommen kann, dass du deine Zeit nicht richtig nutzt, ist super wahrscheinlich und ergibt sehr viel Sinn.

Gleichzeitig darfst du dir vor Augen halten, dass diese 6 Monate nur die ersten Schritte in einen neuen Lebensabschnitt sind. Du musst nicht alles sehen, nicht alles über dich verstehen, nicht alles erlebt haben. Es liegt noch so viel Leben vor dir. Und je mehr du dir erlaubst langsam zu machen und je mehr du deinem Nervensystem die Chance gibst mal ein ganz neues stressfreies Tempo kennenzulernen, desto mehr wird dein System eine Idee davon bekommen, wie das Leben auch sein könnte. Zeit ist nämlich ziemlich relativ – je weniger du dich unter Druck setzt, desto mehr kannst du die Welt um dich herum bewusst wahrnehmen, wirklich präsent sein und dadurch Momente verlängern, anstatt sie durch ständiges Eilen und Rennen zu verkürzen. 

 

Der Ärger oder die Traurigkeit, wenn du etwas verlierst oder dir etwas geklaut wird

Wenn du etwas verlierst, tauchen unangenehme Gefühle auf. Das ergibt sehr viel Sinn. «ja, war ja letztlich nur etwas materielles» wirst du dir vielleicht einzureden versuchen. Und das stimmt natürlich, doch manchmal ist eine Sonnenbrille eben besonders passend fürs eigene Gesicht gewesen, ein Notizheft voll wichtiger Gedanken, ein Kaffeegrinder essenziell oder eine Wanderhose nicht nur super funktional, sondern auch très fucking chic und très fucking teuer. Und dann tuts halt weh. Und das ergibt Sinn. Und dann darfst du traurig sein. Deine Gefühlslage wird nicht besser werden, indem du dir einredest, dass dir etwas materielles nicht wichtig sein sollte. 

Gleichzeitig kannst du dir vor Augen halten, dass du das Glück hast, die meisten dieser Dinge früher oder später ersetzen zu können und es meist nur eine Frage der Zeit ist. Und für das, was sich nicht ersetzen lässt, kannst du darauf vertrauen, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, so ziemlich jeden Verlust mit der Zeit zu überwinden. Und wie gesagt, je eher du dir erlaubst, zu fühlen, was gefühlt werden will, desto schneller gelangst du dort hin.

Die Scham und das Gefühl von Kontrollverlust, wenn du etwas verlierst

Eine zweite Emotion, die sich leicht dazu gesellen kann, wenn du etwas verlierst, ist Scham. Vor allem, wenn Schuld und Scham ohnehin schon Themen sind, die dich seit deiner Kindheit begleiten. Dann kann es passieren, dass es um mehr geht als nur um etwas Materielles, das dir wichtig war. Plötzlich kann es um einen Kontrollverlust gehen, die Ohnmacht, etwas nicht zurückbekommen zu können und dann auch noch selbst daran, Schuld zu sein. Es könnte passieren, dass du dann sehr hart mit dir wirst, gemein zu dir sprichst, dir Vorwürfe machst. Das sind sehr intensive Gefühle, die emotional das übersteigen, was hier eigentlich passiert ist und mit der Vergangenheit im Blick trotzdem Sinn ergeben.

Was die Gegenwart betrifft, darfst du dich daran erinnern: Wir dürfen Dinge verlieren, das darf passieren, das ist normal, das ist okay. Und: Wenn wir in einem Körper mit Trauma und/oder ADHS zuhause sind, ist es noch viel wahrscheinlicher, dass es passiert.

Was die Vergangenheit betrifft: Versuch dir den folgenden Satz zu merken – «If it’s hysterical it’s historical». Wenn du intensive Zustände erlebst, die auf den ersten Blick nicht zur Situation passen, dann ist es umso wichtiger, sie zu validieren und liebevoll mit dir umzugehen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein altes, unverarbeitetes Erleben handelt, dass der 3-, 9- oder 12-jährige Alican erlebt hat, ist so gross. Genau dann, ist es ein riesiges Geschenk, wenn du dir das geben kannst, was man dir damals nicht gegeben hat. Liebe, Nachsicht, Trost, Wohlwollen, Verständnis, eine Umarmung.

Geldsorgen und die Angst, dass du zu wenig davon hast

Flüge kosten, Essen kostet, Übernachtungen kostet und Secco wächst auch nicht auf den Bäumchen – dein Konto wird sich von Tag zu Tag mehr leeren, nachdem es sich in den letzten Jahren Monat für Monat gefüllt hast. Hierbei gewisse Ängste zu spüren, ergibt super viel Sinn. Dein Geld ist mehr als paar digitale Zahlen auf einem Screen, es bedeutet Zeit, es bedeutet Möglichkeiten, es bedeutet Freiheit.

Gleichzeitig darfst du dir vor Augen halten, dass diese Angst nicht nur schlecht ist. Sie hilft dabei, dich zweimal zu fragen, ob der Besuch auf Insel A oder der Kauf von Onebag-Reise-Gadget B wirklich nötig ist. Auch darfst du dich daran erinnern, wie schnell du mit einem Aushilfslehrjob frische Fuffies durch den Club schmeissen und «Bo! Bo!» rufen wirst. And most importantly: Falls du spürst, dass die Zeit heimzukommen – trotz Minus auf dem Konto – noch nicht reif ist, kannst du dir bei mir jederzeit bis zu CHF 2500 ausleihen.

Heimweh und das plötzliche Vermissen, von Dingen, die zuhause auf dich warten

Heimweh und die damit verbundene Traurigkeit ergeben sehr viel Sinn. Vor allem, wenn vielleicht gerade etwas schiefgelaufen ist, du dich mit gewissen Personen nicht wohlfühlst oder am kränkeln bist. Du darfst Heimweh fühlen und gleichzeitig auf dieser Reise sein wollen.

Heimweh trägt nämlich so viel schönes in sich. Es drückt aus, dass dir gewisse Menschen, Orte, Routinen und Alltäglichkeiten wichtig sind. Dass es etwas gibt, was hier auf dich wartet. Es ist ein Zeichen dafür, dass du in den letzten Jahren vieles richtig gemacht hast. Heimweh beschenkt dich auch mit einem neuen Bewusstsein für Selbstverständlichkeiten, die du ohne den Abstand vielleicht nie so sehr zu schätzen gewusst hättest.

In Momenten von Heimweh darfst du dich auch immer fragen, ob es an deiner aktuellen Situation etwas gibt, was du ändern könntest. Die Fokussierung auf Zuhause und der innere Rückzug in Gedanken an vertraute Orte könnten auch Hinweis darauf geben, dass es vor Ort Anpassungen braucht. Wenn das mit dir in Resonanz geht, nimm dir die altbekannten 7 Minuten Zeit und frag dich: «Was sollte ich ändern?» oder «Welche Fragen sollte ich mir stellen?»

Die Angst, irgendwo zu stranden und die Ohnmacht und Panik, wenn es dann tatsächlich passiert

Reisen birgt Risiken, und eine gewisse Angst dabei zu verspüren, ist nicht nur normal, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar hilfreich. Sie zeigt, dass du dir selbst wichtig bist und dass dein Nervensystem seine Arbeit tut – die Umgebung unaufhörlich zu scannen und zwischen sicher und unsicher zu unterscheiden. Alles Neue wird dabei oft zunächst als potenziell unsicher eingestuft. Das Ziel sollte also nicht sein, Unsicherheit zu vermeiden, sondern mit ihr Freundschaft zu schliessen und zu verstehen, dass sie eine wichtige Schutzfunktion hat.

Wenn man in der Kindheit häufiger Gefahrensituationen ausgesetzt war, kann das Nervensystem zudem empfindlicher reagieren, schlimmere Worst-Case-Szenarien prophezeien und schneller Zustände der Ohnmacht auslösen. Dann ist es besonders wichtig dich zu unterstützen, mit guter Planung, mit genügend Langsamkeit, mit Routinen, die dich immer wieder regulieren und erden. Und mit einer strukturierten Zuwendung zu deinen Ängsten, so wie wir es in Engi gemacht haben. «Was macht mir Angst» – so kannst du beobachten, auf welche Szenarien dein Hirn bereits eine Antwort hat und wo dein System noch Unterstützung bräuchte.

Wenn die Angst jemals zu gross wird, du dich in einer überwältigenden Situation befindest oder tatsächlich etwas schlimmes passiert ist, darfst du dir erlauben, auf menschliche Ressourcen zurückzugreifen, die dir helfen, wieder in ein Gefühl von relativer Sicherheit zu finden. Denk daran: Adriene ist jederzeit erreichbar, Birgit bietet auch Online-Sitzungen an, und wenn du mir (und vermutlich vielen anderen) jemals schreibst „Können wir reden“, werde ich alles stehen und liegen lassen, um ans Telefon zu gehen. Du musst nicht alle Gefühle alleine bewältigen, auch wenn du alleine unterwegs bist. Zu glauben, man müsse alles alleine lösen, ist manchmal auch eine tragische Folge der Erfahrung, dass einem als Kind so wenig geholfen wurde.

 

Die Unsicherheit vor dem Ungewissen und der Stress bei plötzlichen Planänderungen

Deine Reise wird nicht bis ins kleinste Detail fertig geplant sein, und das ist ganz normal. Mittendrin können sich zudem Dinge ändern, Pläne ins Wasser fallen, Flüge gecancelt werden oder Pandemien ausbrechen. Kontrolle ist eine Illusion und die damit einhergehende Unsicherheit ergibt ganz viel Sinn und anerkennt die Realität des Lebens – wichtiger als Kontrolle ist unser flexibler Umgang mit dem Unvorhergesehenem.

Gleichzeitig darfst du auch anerkennen, dass dein Nervensystem aufgrund seiner Geschichte mit Kontrollverlust etwas weniger gut umgehen als Menschen, die aufgrund ihres sicheren Zuhauses mit ganz viel Urvertrauen ausgestattet sind. Diese Tatsache darfst du liebevoll ernst nehmen, auch wenn andere um dich herum easypapeasy-yolo-liveinthemoment-vibes versprühen.

Insofern ist deine Reise nicht nur eine Reise durch fremde Länder, sondern auch eine Reise durch deine Reaktionsweisen. Du darfst dich dafür öffnen, dich mit jeder gemachten Erfahrung neugierig kennenzulernen. Welche Dinge waren weniger schlimm als gedacht und wurden von dir souverän gemeistert? Wo hattest du Schwierigkeiten und wie hättest du dich im Vorfeld besser unterstützen können? Wo unterschätzt du dich, wo überschätzt du dich vielleicht? Was darf dir viel Angst machen, was sollte mehr Sorgen in dir hervorrufen?

Und denk dran, du darfst immer um Hilfe oder Rat bitten – bei anderen Reisenden oder auch bei deinen Freund*innen zu Hause. Hilfe anzunehmen ist ein Zeichen von Stärke, und es wird dich nicht nur entlasten, sondern auch Fremden oder deinen Liebsten die Möglichkeit geben, für dich da zu sein. Auch das ist ein Geschenk.

 

Schuld oder Scham, dass etwas Unangenehmes passiert ist, was du mit besserer Organisation hättest verhindern können

Ein Zahlendreher beim Flugtermin, ein fehlendes Visum für ein Land in das du eigentlich wolltest oder eine fehlende Impfung. Fehler passieren und sie lösen schnell mal Frustration aus – das ergibt Sinn und darf sein. Diese unangenehmen Gefühle können uns dabei helfen, in Zukunft anders zu handeln. Uns mehr Zeit zu nehmen, genauer hinzuschauen, zu double-checken, etc. Aber natürlich nur, wenn wir uns für diese Fehler nicht fertig machen.

Manchmal und vor allem dann, wenn man aufgrund seiner Prägung ohnehin Schwierigkeiten hat für Struktur und Ordnung im eigenen Leben zu sorgen, gesellen sich häufig auch noch Scham und Schuld dazu. Schon wieder hat man es nicht besser hinbekommen. Typisch ich. War ja klar. Hier darfst du dir vor Augen halten, dass Unordnung und Unorganisiertheit häufig keine Charaktereigenschaft ist, sondern ein cPTSD- oder ADHS-Symptom. Anders gesagt: Es ist nicht deine Schuld, dass dir es dir nicht leicht fällt, zu planen und gut für dich zu sorgen.

Vielleicht gibt dir deine Reise die Möglichkeit, neue Strategien zu entwickeln. Anders als in deinem Alltag hast du etwas mehr Zeit, um zu reflektieren und zu schauen, was du verändern kannst, um dein Leben einfacherer und sicherer für dich zu gestalten. Gut für dich zu sorgen ist keine Selbstverständlichkeit, es ist Ausdruck von Selbstliebe und die bist du dir am Erarbeiten. Ich hoffe, du kannst die Scham anschauen, sie einordnen und erkennen, dass sie nicht dir gehört. Fehler dürfen passieren, vor allem in einem Erwachsenenleben, das von der Vergangenheit geprägt ist. Und ich hoffe, dass du mit jeder Erfahrung sanfter und nachsichtiger mit dir wirst. Es gibt nichts auf dieser Welt (so zumindest meine Ansicht), wofür wir Menschen beschämen sollten, vielmehr sollten wir zu Verantwortungsübernahmen einladen und Veränderung ermöglichen, indem wir fragen «Wie konnte es dazu kommen? Und was kannst du beim nächsten Mal anders machen, damit es nicht mehr passiert?»

 

 

Die Angst vorm Zurückkehren

Früher oder später steht bei jeder Reise die Rückkehr an. Heimzukommen kann ein schönes Gefühl sein, aber auch Unsicherheiten auslösen – und das ist vollkommen nachvollziehbar. Vielleicht spürst du, dass du ein Stück der Freiheit und Leichtigkeit verlierst, die du auf Reisen oft erlebt hast. Oder der Abstand zu deiner Familie war wohltuend, und jetzt kehrst du zurück in alte Strukturen. Vielleicht hast du dir auch vorgenommen, Veränderungen in deinem Leben umzusetzen, die mit Herausforderungen verbunden sind – wie die Suche nach einer neuen Wohnung oder Wohngemeinschaft. All das kann die Rückkehr erschweren, und es ist völlig normal, dass solche Gefühle auftauchen.

Gleichzeitig darfst du dir vor Augen halten, dass diese unangenehmen Emotionen eine Funktion haben. Sie möchten dich darauf aufmerksam machen, worauf du dich emotional vorbereiten darfst und um welche Dinge du dich rechtzeitig kümmern solltest. Du darfst dich dieser Angst zu wenden und sie fragen, was du tun kannst, um dich bei deiner Rückkehr zu unterstützen.

Warum diese Seite?

Stell dir ein kleines Kind vor, für das die Welt jeden Tag neues und unbekanntes bereithält. Vieles davon ist spannend und schön, anderes beängstigend oder verwirrend. Nun stell dir vor, dass dieses Kind bei jeder emotionalen Regung von einer einfühlsamen, warmen und klugen Person begleitet wird. Diese Person erklärt ihm, warum seine Traurigkeit, Wut oder Angst aus seiner kindlichen Perspektive Sinn ergeben. Das Kind hört nie Sätze wie «Hab keine Angst», «Stell dich nicht so an» oder «Ist doch nicht so schlimm». Es wird jedesmal liebevoll mit „Komm her, mein Schatz, du wirkst ängstlich/wütend/traurig“ angesprochen. In einem ersten Schritt lernt es dadurch, dass all seine Gefühle sein dürfen. In der Folge beruhigt sich das Kind ein bisschen, es fühlt sich angenommen und lernt, dass nichts in ihm falsch oder beschämend ist. In einem zweiten Schritt kann es dann gemeinsam mit der Bezugsperson herausfinden, ob die Situation vielleicht auch anders betrachtet oder bewertet werden könnte. Wohnt unterm Bett wirklich ein Monster, ist eine schlechte Note wirklich so tragisch oder geht die Welt wirklich unter, wenn ich die Packung Gummibärchen an der Kasse nicht bekomme? All diese Situationen können in sicherer Verbundenheit zu einem anderen Menschen erkundet werden. Stell dir vor, wie stressfrei die Beziehung dieses Kindes zum eigenen Innenleben sein wird. Stell dir vor, was es bedeutet, wenn ein Kind erleben darf, dass es mit allem, was in ihm ist, geliebt ist.

Und jetzt stell dir vor, solch eine einfühlsame und zugewandte Person ist nicht da. Stell dir vor, die Bezugspersonen dieses Kindes haben zu wenig Zeit, zu wenig Wissen, zu wenig Geduld, zu wenig Kontakt zu ihrem eigenen emotionalen Innenleben. Stell dir vor, seine ungefilterten, unschuldigen Emotionen lösen in seinen Eltern Spannungen aus, weil es sie daran erinnert, was sie selber nicht fühlen durften. Stell dir vor, die Gefühle des Kindes werden zum unliebsamen Störfaktor und gefährden sogar seine Beziehungen. Was lernt dieses Kind? Es lernt, dass seine Gefühle nicht sein dürfen. Dass die natürliche Art, mit der sein Geist und Körper auf die Welt reagieren, falsch ist. Und dass er das, was in ihm aufsteigt, wegdrücken muss. Und es lernt, dass es seine Schuld ist, wenn er es nicht schafft. Stell dir vor, wie dieses Kind den Zugang zu seiner emotionalen Intelligenz und zu so wichtigen Informationen verliert. Stell dir vor, wie anstrengend ein Leben ist, in dem das, was in dir ist, nicht sein darf. 

Diese Seite beherbergt den bescheidenen Versuch, dir (und mir) zu ermöglichen, auf neue Weise mit unseren Emotionen in Kontakt zu treten. Nämlich wie eine liebevolle Bezugsperson – zugewandt, neugierig, geduldig, wohlwollend, fürsorglich, wertfrei. Sie ist inspiriert von dem, was ich mir selbst in den letzten Monaten geschenkt habe – oder zu schenken versuche. Ich habe erkannt, dass es auf meinem Heilungsweg nicht nur darum geht, alte, eingefrorene Emotionen aus der Kindheit anzuerkennen. Eines anstrengenden Morgens merkte, wie absurd es ist, den tiefen Schmerz der Vergangenheit zuzulassen, aber gleichzeitig genervt von mir zu sein, wenn ich auf gegenwärtige Situationen mit Traurigkeit oder Unsicherheit reagiere. Zum Beispiel, wenn ein Rezept misslingt oder ich nicht weiss, wo meine berufliche Zukunft hinführt. Letzteres löst Emotionen aus. Auch diese sollte da sein dürfen.

Ich musste mir eingestehen, dass ich die unausgesprochene Erwartungshaltung hatte, ein gutes Leben bedeute, mehrheitlich angenehme Gefühle zu fühlen. Sonst mache ich ja ganz klar etwas falsch. Doch mittlerweile glaube ich, dass das nicht stimmt. Ganz zu sein bedeutet, das Leben in seiner ganzen Bandbreite zu spüren – ohne zwischen „guten“ und „schlechten“ Emotionen zu unterscheiden. Es geht darum, mit dem vollen Spektrum menschlicher Gefühle liebevoll umzugehen. Auch den normal-menschlichen, die bleiben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet ist. Manche Gefühle sind schön, manche schlimm. Zusammen machen sie ein lebendiges Leben aus. Ein lebendiges Leben bedeutet, mit sich und mit dem, was in uns ist, in Kontakt bleiben zu können. Es kann also sein, dass wir, je heiler wir werden, mehr Traurigkeit, mehr Wut, mehr Unsicherheit spüren. Was doch ziemlich viel Sinn ergeben würde in dieser manchmal sehr grausamen Welt. Wir würden nicht mehr einfach so über die News aus Gaza hinweglesen können oder das respektlose Verhalten von Arbeitskolleginnen über uns ergehen lassen können. Wir wären weniger funktional, dafür mehr mit uns selbst verbunden. Wir sind traurig oder wütend, aber nicht in einem inneren Kampf mit uns selbst. Sobald wir Teile von uns verdrängen müssen, wird das Leben anstrengend und wir sind gezwungen Ablenkung zu suchen – durch Reels, Arbeit, Alkohol, noch mehr Reels, noch mehr Arbeit, noch mehr Alkohol.

Wenn wir unsere Gefühle nicht fühlen dürfen oder wollen, empfinden wir eine Scham, die uns lähmen kann. Manchmal auf unerträgliche Weise. Wenn wir lernen könnten, unsere inneren Regungen als Normalität anzuerkennen, würden wir die ursprüngliche Funktion unserer Emotionen zurückgewinnen und sie als das zu nutzen können, was sie sind: Signale unseres Hirns, die wichtige Informationen für unser Handeln und unsere Lebensgestaltung enthalten.

Ohne irreführende Prägungen würde das in unserem Hirn etwa so klingen:

«Hey mein Schatz, sorry für die Störung, hier spricht deine emotionale Intelligenz. Ich glaube, ich würd› hier mal ganz kurz innehalten und genauer hinschauen. Einfach nur um sicherzugehen. As you know, I love you loads und making you safe is my highest priority. Also: Wir hätten hier ein bisschen Traurigkeit als Hinweis, plus ein Stückchen Wut, da ist ein Druck auf deiner Brust oder ein Kribbeln auf deiner Schädeldecke. Keine Ahnung, was das bedeutet. Schau’s dir doch kurz mal an und falls es wirklich ein echtes Problem gibt, weiss ich, dass du das lösen kannst. Achja und wenn ich dich schon mal in der Leitung habe, du musst auch auf Toilette. Vielleicht kannst du ja dort drüber nachdenken. Ich mag dich voll doll, byebye, take care.»

Emotionen helfen uns, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wichtig sein könnte. Sie haben nicht immer recht, und nicht immer muss etwas verändert werden. Manchmal geht es nur um eine kurze Rückversicherung. Wir können einen Kuchen eklig finden und ihn trotzdem probieren. Wir können traurig sein und trotzdem auf ein Konzert gehen. Wir können an unserer Entscheidung zweifeln und trotzdem eine Reise antreten. Das Leben ist nicht nur dann in Ordnung, wenn wir angenehme Emotionen empfinden. Wir sind in Ordnung, wenn wir all unseren Emotionen Raum geben und trotzdem leben können. Emotionen sind Informationen und sie helfen uns dabei mehr vom Leben wahrzunehmen. Sie sind weder gut noch schlecht. Und weil das so so so viel einfacher gesagt, als getan ist, gibt es diese Seite.

Die obenstehende Liste enthält eine erste Übersicht normal-menschlicher Emotionen, die beim Reisen auftreten können, ist jedoch nicht abschliessend. Auch die Validierung dieser Emotionen stellt lediglich einen ersten Versuch dar und braucht sicherlich noch etwas mehr Tiefe, sobald die Situation nicht mehr rein hypothetisch, sondern real ist und sich in ihrer ganzen Komplexität zeigt. Wenn du magst, kannst du mich an deinen Erfahrungen mit ihr teilhaben lassen, musst aber natürlich nicht. Fehlende Emotionen kannst du jederzeit nachreichen: info@zfkd.ch.